Brotbackhaus Hotel Haferland

Das Labyrinth des Lebens

Brotbackhaus Hotel Haferland

Ich betrete diesen Bauerngarten mit den unzähligen kleinen Wegen, die mit Holzhackschnitzel bestreut sind und die mir eine Richtung vorgeben. Buchsbaumhecken begrenzen die Beete mit herrlich duftendem lila Flieder, rosa Heckenrosen und goldgelbem Ginster. Mittendrin ein altes gemauertes Brotbackhaus. Eine faszinierende Weite spüre ich und ein betörender Duft steigt in meiner Nase auf. Rosa Lichtnelken, lila Katzenminze, rote Spornblumen wackeln bereits mutig im frischen Ostseewind, während leuchtende Akeleien neugierig ihre Köpfe in die Höhe strecken, als wollten sie den anderen mitteilen: „Hey, kommt ruhig raus, es wird bald Sommer!“. Kleine Holzterrassen mit Liegestühlen laden zu einer Pause ein und in der Ferne ruft unermüdlich der Kuckuck. Alles ist friedlich, nur der Wind säuselt durch die Blätter. Eine Oase!

Mut, Kraft, Wärme, Energie, Liebe

Mut Schild

Kleine Holztafeln begrenzen die unterschiedlichen Gartenbereiche. Auf einer steht: Mut. Es ist erstaunlich, wo die wenigen Menschen, die sich hier im Garten ausruhen, ihren Platz gefunden haben. Einige sitzen im Mut Bereich, andere lassen sich im Liebe Garten nieder. Es gibt noch einen Kraft Garten, Wärme Garten und einen Energie Garten.

Inzwischen übertönen die Frösche vom nahegelegenen Teich den Kuckuck. Welch ein Paradies! In einer Geh-Meditation schreite ich achtsam voran. Mit jedem Schritt stelle ich mir vor, dass leuchtende Blumen auf meinen Spuren wachsen werden. Im Geiste wiederhole ich die Wörter, die ich auf den Holztafeln gelesen habe: Mut, Kraft, Wärme, Energie, Liebe. Mein Atem leitet mich, ich bin einfach nur da, im gegenwärtigen Moment. Keine Ablenkung, ich bin mittendrin. Rechts und links von mir sumpfiges Gewässer, gesäumt von meterhohem Schilf. Jeder Schritt ein wertvoller Schritt. Mit jedem Schritt lasse ich los. Alle meine Gedanken lösen sich auf und finden im blauen Himmel über mir einen Ehrenplatz.

Zeit, die wir uns nehmen, ist die Zeit, die uns etwas gibt.

Ich erreiche einen Teil des Gartens in dem kreisförmig verschiedene Holzpfähle im Boden eingelassen sind. Das sieht spannend aus und ich entdecke an einem der Pfähle ein Hinweisschild, dass es sich um die einfache Form eines kretischen Labyrinths handelt. Darunter lese ich: „Zeit, die wir uns nehmen, ist die Zeit, die uns etwas gibt. “ Das klingt gerade für mich, als Natur- und Achtsamkeitstrainerin,  spannend und macht mich neugierig. Dieses Labyrinth ist ein begehbares Symbol des eigenen Lebensweges.

Durch die Windungen und kreisförmige Anordnung deutet es verschlungen und immer die Richtung wechselnd die Höhen und Tiefen des Lebens an. Zum Mittelpunkt des Labyrinths wurde ein großer Stein markiert. Er symbolisiert den Weg zur persönlichen Mitte, die mit dem Lebensalter 50 gekennzeichnet ist. Um den Mittelpunkt verlaufen insgesamt sieben Windungen. Diese zeigen die bedeutungsvolle Siebenjahr-Periode auf unserem Lebensweg an. 7×7=49, hier ist Zeit inne zu halten und sich zu besinnen. Danach wendet sich der Weg und man geht die spiralförmigen Windungen bis zum Ende seines Lebens weiter. Mit der Zahl 100 endet der Weg.

Auf dem Weg durch das Labyrinth

Das Labyrinth des Lebens

Achtsam und in kleinen Schritten beschließe ich, den Weg durch das Labyrinth zu wagen. Bis zum ersten Hölzchen sind es nur wenige Schritte, der Weg meiner Zeugung, der Weg meiner Geburt bis zu meinem ersten Lebensjahr. Hier ist die Zahl 1 in blauer Farbe aufgemalt. Ich denke nach, an was kann ich mich erinnern, aus Erzählungen, aus alten Fotos. Dabei kommt mir ein Foto in den Sinn, an dem ich vorsichtig an der Hand meines Vaters mit ernstem Gesicht die ersten Schritte in diese bunte Welt gehe. Ohne zu ahnen, was mir auf dem Labyrinth-Lebensweg noch alles begegnen wird.

Nachdenklich gehe ich Jahr um Jahr bis zum Ende weiter, wobei die einzelnen Holzpfähle, auf denen die Lebensjahre aufgemalt sind, mir Orientierung bei meiner persönlichen Standortbestimmung geben. Automatisch werde ich ins Vertrauen gelenkt. Es begegnen mir Situationen, in denen mir bewusst wird, wie ich, durch andere getragen, mein Leben so gestalten konnte, wie ich es tat. Ich denke an die Menschen, die es mir ermöglicht haben, so zu werden, wie ich heute bin. Viele Situationen begegnen mir, während ich die Windungen laufe. Manchmal muss ich lachen, manchmal bin ich traurig, z.B. wenn mich Rückblicke einholen oder wenn ich an ungewisse Situationen denke, wie z.B. an meinen eigenen Tod.

Es naht der Ausgang aus dem Labyrinth. Auf dem letzten Hölzchen steht die Zahl 100. Ich komme ins Straucheln, wie viele Jahre bleiben mir noch? Mit was will ich meine wertvolle Zeit verbringen? Was will ich noch erleben? Was ist mir wirklich wichtig? Was macht den Sinn meines Lebens aus? Das Ende des Weges! Bedeutet er vielleicht den Tod, oder auch nicht? Endet mein Lebens-Labyrinth vielleicht schon viel früher?

Hotel Haferland

Erstaunt stelle ich fest, wie ich mich selbst mit meinen Gedanken durch das Labyrinth meines eigenes Lebens geführt habe. Ich beschließe, wie es auf der Tafel steht, den gelebten Teil meines Lebens bewusster zu gehen. Weiter meinen Weg, der noch vor mir liegt, voller Vertrauen und Dankbarkeit zu beschreiten.

Zum Schluss nehme ich in der Abendsonne im Garten der Liebe Platz und lasse alles noch einmal auf mich wirken. Über diese Erfahrung bin ich gerade sehr dankbar. So ein Labyrinth würde ich mir für die Teilnehmer*innen meiner Klosterurlaube wünschen, so dass sie ebenfalls eine solche Erfahrung machen könnten. Ich wünsche Ihnen allen einen dankbaren Weg durch Ihr eigenes LebensLabyrinth. Wer weiß, vielleicht begegnet Ihnen auch schon bald ein solches Labyrinth, dann schreiten Sie mutig hinein und lassen Sie sich von Ihrer Selbstwahrnehmung überraschen.

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Für dieses intensive Selbstexperiment danke ich dem Hotel Haferland im Fischland-Darß.

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